Menschen, die leidenschaftlich in der Pflege arbeiten, wollen helfen. Als Pfleger im Krankenhaus erscheint mir das einfacher, weil die Patienten mit Verletzungen oder Krankheiten kommen und meistens gesund wieder gehen. Doch als Altenpfleger kannst du nur bedingt einem Heilungsprozess zuschauen. Klar wächst auch ein gebrochener Oberschenkel wieder zusammen, aber mit welchen Folgen? Wenn ein alter Mensch mehrere Wochen regungslos im Bett lag, sind ein Großteil der Muskeln verschwunden und verdammt schwer wiederaufzubauen. Viele Leute können also gar nicht mehr laufen.
Aber auch als Altenpfleger muss man das nicht hinnehmen. Von einem der schönsten Momente in seiner Laufbahn als Altenpfleger erzählt uns heute Dustin.
Autorin: Sarah Stano | Passionierter: Dustin aka Dena

Auf meiner Station leben 45 Menschen, doch ein Zimmer war seit Wochen leer. Als seine Bewohnerin zurückkam, herrschte darin eine andere Atmosphäre. Der Unterschied? Wegen einem Oberschenkelhalsbruch hatte Waltraut zwei Wochen im Krankenhaus gelegen und konnte nicht laufen. Vor dem Unfall hatte sie ihr Zimmer aufgeräumt, hatte alte Briefe aus dem Regal geholt, um immer wieder in alten Erinnerungen zu schwelgen. Jetzt bückte ich mich nach der Schachtel im untersten Regalfach. Für jeden Handgriff brauchte sie Hilfe. Damit brach ein großes Stück Selbstverantwortung weg und das nur, weil sie auf der Schwelle zum Badezimmer gestürzt war.
In den drei Monaten, die verstrichen, kauerte Waltraut in ihrem Bett und gab sich selbst auf. Für mich war der Anblick schlimm zu ertragen, denn diese Frau hatte einen Weltkrieg überlebt!

Aus medizinischer Sicht hätte sie ihr Bein längst wieder belasten dürfen. In unseren getakteten Schichten bleibt bloß keine Zeit, um unsere physiotherapeutische Funktion bei den Bewohnern zu erfüllen. Zack, zack wird alles fertig gemacht. Dank Corona durften in dem Zeitraum auch keine Angehörigen rein, die Waltraut bei ihren ersten Gehversuchen geholfen hätten. Sie hatte nicht ein Mal ihr Bett verlassen.
Eines Tages hatte ich eine kurze Verschnaufpause in meinem Dienstplan und betrachtete das Häufchen Elend. Ich erlebe oft, dass Leute den Glauben in sich und die Zukunft verlieren. Ich liebe es, mir genau diese Leute rauszupicken und sie aufzupäppeln. Nur weil man alt ist, ist das Leben nicht vorbei. Zu Waltraut sagte ich:
„Komm ich setz dich jetzt in deinen Rollstuhl.“
„Wie soll das gehen?“ Verwirrt sah mich die Frau an.
„Der Knochenbruch ist längst verheilt, es könnte höchstens sein, dass dein Kreislauf nicht mitmacht, da du die ganze Zeit im Bett gelegen hast.“
Nervös schob die alte Dame die Decke von sich weg und tastete nach meinen Oberarmen, als ich sie aufrichtete. Von der Bettkante hob ich sie in den Rollstuhl. Zum ersten Mal seit drei Monaten saß die Frau aufrecht und ich merkte sofort, dass sie anders atmete, dann weinte sie vor Freude.
Lächelnd fuhr ich sie auf den Gang, der die ganze Zeit so nah gewesen war. Drei Monate hatte sie allein in ihrem Zimmer gegessen, während sich alle anderen Bewohner im Speisesaal versammelt hatten.
Waltraut klammerte sich an meinen Arm fest und zog sich näher an mich ran.
„Danke, dass du an mich geglaubt hast.“
Diese Worte taten so weh und waren so schön zugleich. Bis jetzt habe ich sie nur in einen Rollstuhl gesetzt und ihr die gewohnte Perspektive zurückgegeben. Ich bin mir sicher, dass sie bald wieder selbstständig in den Speisesaal spazieren wird, denn mit viel Aufmerksamkeit und guter Pflege kann auch ein alter Körper heilen.
Sarah: Ich selbst habe immer das Bedürfnis zu helfen. Eine Geschichte wie diese macht mich deswegen glücklich und gleichzeitig traurig, da es bestimmt viele Einzelfälle gibt, wo die Leute dauerhaft immobil bleiben und ans Bett gefesselt sind. Wäre es nicht schön, wenn jeder Pfleger Zeit hätte, sich in diesem Maße um seine Patienten zu kümmern?