Indien trocknet aus.
Eine junge Frau
lehnt sich gegen
den Klimawandel auf.
Wasserknappheit bedroht die Farmer im Süden Indiens. Felder können nicht bewässert werden und trotzdem müssen tausende Menschen ernährt werden.
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Sina steht kurz davor ihr Studium abzuschließen und ihre Chefin möchte sie fest als Umweltberaterin anstellen. Sina jedoch nervt es, dass alle über Nachhaltigkeit reden und niemand etwas unternimmt. Als sie den Inder Ajeet kennen lernt, erzählt der ihr von den katastrophalen Bedingungen in seinem Heimatland. Sie weiß genau wie sie den indischen Bauern helfen kann, doch würde sie dafür ihr Leben in Deutschland aufgeben?
Ds Buch ist einmal nieder geschrieben und die ersten Testleser haben es genaustens unter die Lupe genommen. Jetzt heißt es überarbeiten!
Im März 2019 war ich selbst in Indien und habe auf einer Farm eine Trockentoilette gebaut. Die zwei Mädels, welche die Farm leiten sind zwei Kommilitoninnen von mir und ich bin absolut begeistert von dem, was sie auf die Beine stellen.
Während ich dort war, gab es ein Ereignis, wo wir alle ziemlich in Panik geraten sind. Noch in der gleichen Nacht habe ich eine Notiz in mein Tagebuch gemacht, dass ich darüber etwas schreiben müsste. Erst dachte ich an eine Kurzgeschichte, aber das Thema ist dafür viel zu komplex. Und da ich eh lieber Romane schreibe, wurde für mich eine neue Herzenangelegenehit geboren.
Das Projekt, auf das sich mein Buch bezieht heißt Toranam. Es handelt sich dabei um eine Demonstrationsfarm mit Umweltbildungszentrum, das lokalen Bauern zeigt, wie sie nachhaltiger Landwirtschaft betreiben können. Das Projekt ist in Madanapalle, circa 100km nordöstlich von der Riesenstadt Bangalore im Süden Indiens angesiedelt.
Mein erster Blogbeitrag handelt von diesem Projekt. Es lohnt sich also vorbei zu schauen!
Du bist so begeistert von der Idee auch selbst etwas in die Hand zu nehmen?
Monja und Franziska freuen sich immer über freiwillige Helfer!
Der Inder hinter dem Tresen las meinen Einreiseschein. Zwischen den braungebrannten Fingern beugte sich das Blatt Papier und der Blick hinter der Brille huschte über meine Angaben.
„Familie oder Freunde besuchen“ habe ich angekreuzt bei der Frage, warum ich nach Indien einreisen will. Das ist halb gelogen. Ich hasse es, zu lügen, und ich spüre, wie die Riemen meines Rucksackes immer tiefer in meine Schultern einschneiden, während ich darauf warte, dass der Beamte endlich meinen Zettel weglegte und mich passieren ließ.
Ich war froh, dass er keinen Blick in meinen Backpack werfen konnte, wo ich zwischen meinen Klamotten Arbeitshandschuhe, eine Wasserwaage und einen Zollstock eingebettet habe. Eingewickelt in meinen Hüttenschlafsack transportiere ich sogar die Handgartenschaufel meiner Mutter. Als Ajeet mir Bilder von den vorhandenen Werkzeugen auf der Farm schickte, wollte ich nicht glauben, dass ganz Indien seine Felder ohne anständigen Spaten bestellt. Stattdessen benutzen die indischen Bauern ein Stück Holz, an dessen Ende sie eine Schaufel aus Eisen einkeilen und es wie eine Hacke auf den Boden eindreschen. In einem Video schufteten die Bauern bei brennender Sonne in gebückter Haltung auf dem Feld. Die Sonne konnte ich nicht ausknipsen, um ihnen zu helfen, aber anständiges Werkzeug würde zumindest ihre Körperhaltung verbessern. Zu gerne hätte ich den Spaten eingepackt. Immerhin hatte die kleine Schaufel noch ins Gepäck gepasst, sodass ich die dreißig Kilo für den Flug nicht überschritt.
Der Inder klappte meinen Reisepass auf, drückte einen Stempel auf die hinteren Seiten und legte ihn auf den Tresen ohne mich dabei anzusehen. Perplex blieb ich stehen. War es das schon? Niemand der mich aufhielt und zurück nach Deutschland schickte? Von hinten kam der nächste Tourist und schob mich weiter. Ich setzte meine Schritte zwischen die Boxen, in denen die indischen Beamten saßen und betrat nationales Gelände. Ich war in Indien.
Überall um mich herum wuselten Menschen mit schwarzer Haarpracht. Von den Decken des Flughafens hingen bunte Werbebanner. Die Models gekleidet in Sarees und überhangen mit Goldschmuck. Aus den Lautsprechern tönten Ansagen auf English, die ich wegen dem starken Akzent kaum verstand.
Die Menge schob mich weiter. Ich folgte den anderen Touristen in einen langen Gang mit rotem Teppich. Neben mir eine Glasfassade und die Fläche auf denen die Flugzeuge parkten. Wären dort nicht die Palmen im Hintergrund, könnte ich mich auch in Deutschland befinden. Zwölf Stunden Flug vergingen so schnell wie eine Zugfahrt von München nach Kiel, rechnete man die Verspätungen der Deutschen Bahn mit ein. War ich wirklich halb um den Globus geflogen?
Ich lief schneller und überholte die Leute mit ihren Rollkoffern. Als ich das Gepäckband erreichte, wurden die ersten Koffer entladen. In der ersten Reihe spechtete ich auf meinen Rucksack. Auf dem Fließband lag ein zerbröselter Keks. In jeder Kurve, wo das Band kurz an den Rand abprallte, verlor er wieder ein paar Krümel. Als er zum achten Mal an mir vorbei zog, hatte ich beinahe Mitleid und wollte ihn in den Mülleimer schmeißen, doch da tauchte mein Backpack auf.
Ich krallte ihn mir und zerrte ihn durch die Menge in eine stille Ecke. Alle Schnallen dran. Kein aufgerissener Reißverschluss. Ich atmete auf und setzte mich auf den Boden. Es war mir egal, wie viele Krankheitserreger potenziell auf den Vinylboden hafteten. Aus der obersten Tasche holte ich einen Schokoriegel und stopfte mir so viel davon in den Mund, dass ich kaum schlucken konnte. Ein Blick aufs Handy verriet mir, dass ich mit einem indischen Netz verbunden war. Ich steckte es in meine Hosentasche, schloss die Augen und umarmte mein Handgepäck. Ich hatte es geschafft.
Als ich damals in Bolivien an der Wiederaufforstung mitgeholfen hatte, war ich Teil einer größeren Gruppe gewesen, die gemeinsam angereist und abgereist war. So alleine wie jetzt habe ich mich noch nie aus Bayern hinaus gewagt.
Die Schokolade beruhigte meine Gedanken und ich rappelte mich auf die Füße auf. Ich hievte den dreißig Kilo schweren Backpack auf eine Bank, um dann rückwärts meine Arme in die Schlaufen einzufädeln und das Gewicht auf meine Schultern zu ziehen. Das Handgepäck hing ich mir von vorne über die Schultern.
Ich folgte dem Strom aus Menschen, die zum Ausgang steuerten. Was würde mich hinter der Absperrung nur erwarten? Ich kannte Indien hauptsächlich aus Dokumentationen. Zum einen war da die bunte Seite voller Leben, Liebe und Göttern. In den Bollywood-Filmen, die ich früher mit meiner Schwester ansehen musste, tanzten die Damen in Sarees durch Paläste und die Männer eroberten ihre Herzen, indem sie von der wahren Liebe sangen. Die andere Art von Dokumentation, die Youtube ausspuckte, zeigte Wasserknappheit, Straßenkinder und Überbevölkerung. Für alle Probleme, die der Klimawandel mit sich zog, konnte man eine Doku über Indien finden. Trotzdem verweigerte der indische Staat Hilfe von außerhalb, indem er freiwilligen Arbeitern nur mit viel Papierkram eventuell ein Visum ausstellte.
Deshalb habe ich mein Kreuz bei „Familie oder Freunde besuchen“ gesetzt. Zu Hause log ich nicht mal, wenn ich bei einer Heißhungerattacke die Schokoladenvorräte der ganzen WG aufaß. Laut Ajeet würde es jedoch Monate dauern, um die Einreise ganz korrekt zu gestalten. Außerdem würde in seinem Land so viel unterschlagen werden, da käme es auf meine Arbeitskraft wirklich nicht an. Als wir uns das letzte Mal sahen, steckte er mir ein Bündel indische Rupeen zu.
„Falls du aus Versehen doch die Wahrheit sagst und den Beamten bestechen musst.“ Ajeet hatte gezwinkert und mir die Scheine in die Hosentasche gesteckt.
Ich verließ den Flughafen durch eine Drehtür. Heiße Luft schlug mir entgegen, sammelte sich unter meinem Pullover und brachte mich zum schwitzen, sodass binnen Sekunden meine Arme an dem Stoff klebten. Die Menschen drängelten sich an mir vorbei, eilten auf die Taxis zu. Jedes vorbei fahrende Auto hupte, die Fahrer ließen die Fensterscheiben runter und riefen den Passanten zu. Genau wie ich es mir vorgestellt hatte.
Ich lächelte und plötzlich fühlte sich der Rucksack ganz leicht auf meinem Rücken an.
„Sina!“
In der Menge reckte ein Mann seinen Arm über die Köpfe der anderen und winkte mir zu. Ajeet sah ganz anders aus, als bei unserem letzten Treffen in München. Er hatte sich einen Schnauzer wachsen lassen, ganz nach indischer Mode und trug ein gebügeltes Hemd. In den Vorlesungen war er immer in zerschlissener Jeans und Kapuzenpulli aufgetaucht. Ich hätte nicht gedacht, dass ihn eine Hochzeit so verändern konnte.
Ajeet rannte auf mich zu und umarmte mich samt Rucksäcken.
„Schön dich zu sehen“, sagte ich.
„Bist du endlich hier. Komm mein Auto steht dort drüben.“ Ajeet nahm mir den großen Rucksack ab. „Weißt du, Steine haben wir genug in Indien. Hättest keine mitbringen müssen.“
„Ich habe alles mitgebracht, was der Baumarkt hergegeben hat.“ Ich lachte und half ihm den Rucksack in den Kofferraum des Autos zu stopfen. Trotz Bart und Hemd fühlte es sich an wie vor einem Jahr, als ich ihn zuletzt sah. Das Aussehen kann trotzdem nicht das Wesen eines Menschen verändern.
Ich hockte mich auf den Beifahrersitz und als sich Ajeet hinter das Lenkrad setzte, schaltete er die Musikanlage ein. Töne, die meine Mitbewohnerin gerne als Katzenmusik bezeichnete, erklangen und übertönten sogar das Hupen der Taxis. Am Rückspiegel baumelte ein Bild des Gottes Shiva. Ajeet lenkte den Wagen auf die Ausfahrtsstraße und trällerte das Lied mit.
Ich war angekommen.