
Abgeranzte Liebe
Alles, was ein Liebesroman nicht zu bieten hat!
2019 Hummel&Sahne
Gesamtbewertung auf Amazon
4,4 von 5 Sternen
Sehr gelungen fand ich auch „Löschen“ von Sarah Stano.
Alleine schon mit ihrer dementen Großmutter hatte mich die Autorin emotional sofort gefangen und hat mich auch bis zum Ende am Ball gehalten. Mit „Heißes Fett“, bei der der Sohn in die Fußstapfen der Eltern treten soll, hat mich diese Autorin ebenfalls sehr bewegt.
Wer abseits des Mainstreams Geschichten über die Liebe sucht, die nicht hoch stilisiert, perfektionistisch und damit völlig utopisch sind, wird in diesem wunderschön gestalteten Buch mehr als genug Anregungen sowie Unterhaltung finden.
Oft wird Liebe mit wunderschönen Gefühlen verbunden. Sie kann aber auch anstrengend, schwierig und ganz oft auch kompliziert sein und genau dieser Seite widmen sich die sieben AutorInnen, in dieser Anthologie.
Leseproben
Martina holt die Pfanne aus dem Ofen, stellt sie auf die heiße Herdplatte. Die Beschichtung trieft vor Fett. Gestern hatte sie zur Abwechslung neues Sonnenblumenöl genommen. Mittlerweile aber riecht es nach Kassler und Ei.
Sie sieht dem Fett zu, wie es erste Blasen wirft. Hinter ihr knarzt die Tür, als Eberhardt sie mit dem Fuß aufstößt. Ohne ein Wort stampft er mit den Arbeitsschuhen in die Speisekammer und reißt die Kühlschranktür auf. An seinen Schuhen hängt der Dreck vom Feld.
„Was gibt`s zum Mittag?“
„Guck halt, was da ist.“ Martina gibt noch einen Schluck Öl in die Pfanne.
„Gar nichts. Der Kühlschrank ist leer.“ Eberhardt wirft die Kühlschranktür zu. Er marschiert hinter ihr vorbei. Die Dielenbretter geben unter seinen Schritten nach. Die Gläser klirren im Schrank. Martina umklammert den Stiel der Pfanne.
„Jeden Tag das Gleiche. Ich erwarte was Vernünftiges zu Essen auf dem Tisch.“ Mit bloßen Händen reißt Eberhardt einen Kanten Brot ab. Seine Zähne zermalen das zähe Stück. Er schlägt mit der Faust auf den Tresen, fischt blind nach der Maggi-Flasche, träufelt sich das Zeug aufs Brot, während es in seinem Mund steckt. Er reißt sich ein zweites Stück vom Brot ab, dann verzieht er sich aus der Küche.
„Bring ein paar Eier mit“, ruft Martina ihm hinterher.
Die Treppe knarzt, als Eberhardt hinunter trampelt. Martina klammert sich an der Arbeitsplatte fest, ihre geschwollenen Fingergelenke treten hervor. Sie zieht die Pfanne von der Herdplatte, das Fett schwappt über den Rand, spritzt auf ihre Schürze.
Sie öffnet die Kühlschranktür, ein paar Mal flackert die Lampe im Innenraum bis sie schließlich anspringt. In der Tür findet sie eine Tube Ketchup und Senf, in der unteren Schublade liegt eine Packung Scheibenkäse. Als sie sich danach bückt, schießt der Schmerz ihre Wirbelsäule hoch.
„Ach, ich brauch nichts zu essen“, sagt sie leise zu sich.
Martina kontrolliert den ausgeschalteten Herd, dann hockt sie sich auf den Balkon und zündet sich eine Zigarette an. Ihre Hände zittern, als sie die Kippe an die Lippen führt. Sie zieht den Rauch tief in die Lunge.
Auf dem Beistelltisch steht neben dem Aschenbecher ein Dinosaurier aus Ton. Sein unsymmetrisches Gesicht hängt schief zu einer Seite. Der Künstler hatte den linken Eckzahn im Nachhinein angeklebt. Er reicht vom Ohr bis zum Kinn. Die Haut der Echse ist giftgrün, schwarze Flecken ziehen sich über den Körper, wie bei einem Dalmatiner.
Martina formt einen Kussmund und bläst dem Dinosaurier Rauch ins Gesicht, dann streichelt sie ihm über den Rücken – unter ihren Fingerspitzen die Gravur: Johannes 3B.
Sie starrt in die Augen der grotesken Gestalt und drückt die Kippe aus.Sand und Dreck bedeckten die Straße. Ein Auto fuhr heran. Der Motor klackerte, als läge er nur auf der Karosserie, die verbindenden Streben vor lange Zeit gebrochen. Ein Strick verband eine Türklinke mit dem Beifahrersitz. Fetzen eines Sackes hingen unter dem Türspalt heraus. Die abgefahrenen Räder wedelten den Sand und den Dreck auf. Es roch nach Benzin und Gummi. Die Karre schleppte sich auf der verlassenen Straße dahin, bis sie um eine Ecke bog und zwischen den eingestürzten Hütten verschwand.
Dort, wo der Asphalt sich an der Seite der Straße mit dem Sand mischte, saßen wir auf einem Betonklotz und hielten uns die T-Shirts über Mund und Nase, bis sich der Staub gelegt hatte.
Das nächste Auto leuchtete weiß in der grauen Ortschaft. Es hielt direkt vor uns, zwei Touristen sprangen hinten von der Ladefläche. Der Fahrer verlangte Geld. Auf englisch erfragten sie den Preis, verstanden die spanischen Worte nicht. Der Ecuadorianer gestikulierte wild in seiner Fahrerkabine. Die Hände prallten mit jedem zweiten Wort gegen die Decke. Die Frau wich von dem Fenster zurück, der Mann reichte einen Schein in das Auto, die Reifen drehten durch, die Schrottkiste düste ab.
„How much did you give him?“ Ich nickte den beiden Neuankömmlingen zu.
„Way to much.“ Das Pärchen setzte sich. Sie öffneten ihre Backpacks, holten eine Packung Kekse hervor.
„Wollt ihr welche?“
Man hörte uns also an, woher wir kamen. Dankend nahm ich eines der Gebäckstücke. Bei der Berührung mit der Zunge löste sich das Zeug in seine Bestandteile Mehl und Zucker auf. Ich würgte die Masse herunter. Bei meiner Weißheitszahnoperation, hatte sich mein Rachen ähnlich paralysiert angefühlt.
„Widerliches Zeug.“
Der Mann lachte, schob sich einen zweiten Keks hinterher. „Ich würde ja was anderes kaufen, aber.“ Der Typ hob die Augenbrauen, wendete seinen Kopf wie eine Eule. Entlang der Straße reihten sich Shops, doch jeder hatte die Gitter davor zugezogen. Ausgebleichte Plakate mit einst kunterbunter Werbung klebte an den Wänden.
„Da hinten ist ein Klo. Es wird bewacht von einer alten Dame.“
„Die einzige Seele weit und breit“, fügte Elias, mein Freund, hinzu.
Die beiden setzten sich neben uns, wir alle ließen den Kopf hängen, um unseren Gesichtern Schatten zu spenden. Durch den Schweiß und den aufgewirbelten Dreck fühlte ich mich wie ein paniertes Schnitzel.
Ein Geräusch am Ende der Ortschaft rührte auf, wir schauten auf, doch der klimatisierte Bus, den wir erwarteten, kam nicht zu unserer Rettung. Es war eine weitere Schrottlaube. Auf dem Beifahrersitz hockte eine Frau mit zwei Kleinkindern, auf der Rücksitzbank vier Erwachsene und ein Halbstarker. Aus dem Kofferraum grinsten fünf Kinder in Schuluniform. Alle begafften sie uns – ich verübelte es ihnen nicht.
„Glaube ich gehe die Klolady aufsuchen. Bitte fahrt nicht ohne mich.“ Robert zwinkerte, als glaubte er nicht daran, dass der Bus je kommen würde.
Ein paar Leute wandelten über die Straße. Eine Frau mit ihren Kindern lief entlang des Straßengrabens. Die Mädchen versuchten, die Plastiktüte mit dem Einkauf aus ihrer Hand zu reißen. Doch die Mutter hielt die Tüte über ihren Kopf und wären die Kleinen olympische Hochspringer, würden sie dennoch nicht an die Süßigkeiten gelangen. Ein Mann setzte sich auf der gegenüberliegenden Seite in den Schatten, hielt die Knie angewinkelt, starrte zu uns herüber. Ein Auto passierte uns. Aus dem Megaphon, das aus dem Fenster gehalten wurde, dröhnten Aufforderungen und trotz meiner fünf Jahre Schulspanisch verstand ich kein Wort.
Ein Hecheln drang an meine Ohren. Ich stützte den Kopf auf die Knie.
Hunde robbten ihre Nasen durch den Dreck. Ihre Pfoten setzten behutsam auf den Boden auf, während sie schnüffelten. An jedem Stein hielten sie, rollten ihn mit der Schnauze auf die andere Seite, um Essenreste darunter zu finden. Sie rochen die Kekse.
Es waren gewachsene Hunde, vor denen ich in der Nacht Angst hätte. Die schwarzen Augen lagen wie tiefe Abgründe in den Köpfen der Tiere. Sie trugen das Leid von einem Leben auf der Straße mit sich. Die Rippen zeichneten sich unter dem Fell ab. Symmetrisch wie eine Sinuskurve. Dass ich bei dem Anblick dieser leidenden Wesen an Mathe dachte.
Sandra hielt die Kekspackung hoch über sich erhoben, wie die Mutter ihre Einkaufstüte, nur, dass diese Hunde ihre Hinterpfoten bereits zum Sprung einknickten. Sandra blieb standhaft, streckte ihren Arm gen Himmel. Zwei der Tiere setzten sich vor ihre Füße, hielten den Blick gebannt an der Mahlzeit geheftet, die sich ihnen früher oder später eröffnen würde. Ihre Ruten lagen leblos am Boden. Anders als bei unseren Hunden zu Hause.
Das restliche Rudel, überließ das Warten auf das Festmahl den zwei Alphatieren und suchte weiter im Straßengraben nach Essbarem. Die meisten hatten spitze Ohren und bewegten sich mit Eleganz auf ihren langen Beinen. Gerne würde ich einen von seinem Schicksal erlösen, ihn mit nach Hause nehmen. Was für eine Utopie.
Ich traute mich nicht sie zu streicheln.
Ich hätte ihnen aber die Kekse gegeben.
Die Arme legte ich auf die Knie, den Kopf darauf und beobachtete die Tiere bei ihrer Suche. Fell strich meine Wade.
Ich zog das Bein weg. Eine Pfote berührte meine Haut, ich guckte hinab und schaute auf ein Knäuel. Ein Paket aus Fell, das nichts mehr sah, da die zu Rasterlocken verklebten Haare die Augen überdeckten. Es war klein wie ein Chihuahua und widerlich wie eine Ratte. Beide Beine zog ich auf den Betonklotz hoch, während der Hund versuchte hochzuspringen. Eine rosafarbene Zunge erschien zwischen dem schwarzen Filz.
Ein angekokelter Zeichentrickvogel stürzte auf den Boden.
„Yeah und noch einer!“
Sie alle hoben ihre Bierflaschen, tranken und tranken, während die Federn des Zeichentrickvogels zu Asche wurden.
Patrick wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab, lehnte sich zurück, versank in den Kissen der Couch. Der kleine Drache Grisu watschelte weiter, marschierte über den Vogel. „Ich werde Feuerwehrmann! Ich werde Feuerwehrmann!“ Er trug einen roten Helm und einen Wasserschlauch in der Hand.
Seine Freunde hockten vor dem Fernseher wie kleine Kinder. Es fehlte nur noch eine Mutter, die sie schimpfte, dass sie viereckige Augen bekämen.
„Hey, Grisu hat gar nichts abgekokelt.“ Vanessa legte ihre Hand auf Patricks Oberarm, als er ansetzte, um sein Bier zu leeren. Die Hand verweilte dort vier Schlucke lang. Erst als er aufstand, um sich ein neues Bier zu holen, zog sie zaghaft ihren Arm zurück, dann folgte sie ihm in die Küche.
In der Spüle häufte sich das dreckige Geschirr von drei Tagen, der Mülleimer stank. Eine offene Packung Toastbrot rottete vor sich hin, an den Geschirrtüchern haftete Fett, Käse und Tomatensauce von den Pizzen, die sie sich bestellt hatten.
„Und wie war es beim Rugby heute?“ Er öffnete zwei Flaschen, reichte ihr eine. „Hast du wieder jemanden die Knochen gebrochen?“ Er setzte an und trank in langen Zügen.
„War die Woche so stressig?“ Sie lehnte am Küchentresen, prostete ihm zu.
Er nickte, ohne die Flasche abzusetzen. Als er abstellte, atmete er tief aus und rülpste lang und tief aus der Kehle heraus. „Durchaus. Schuldig.“
Vanessa schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen, dann rülpste sie lauter als er.
„Respekt“, sagte Patrick.
Vanessa zog die Schultern an die Ohren. Ihr Nacken spannte am Kragen. Das T-Shirt hatte Grasflecken an den Schultern. Ihr Ellenbogen war von Blutkrusten überzogen. Patrick konnte sich vorstellen, wie sie über das Feld rannte und jeden umwarf, der ihr in die Quere kam.
„Hätte nicht gedacht, dass die Fortbildung so anstrengend ist. Das Pendeln nach Stuttgart. Ich bin echt wenig zu Hause. Das gleicht nicht mal das vier Sterne Hotel aus.“ Patrick lehnte sich neben ihr über den Küchentresen. Es war so still, dass er das Surren des Kühlschranks wahrnahm.
„Gib dem Ganzen etwas Zeit. Wenn du erstmal eine leitende Position in der Feuerwehr hast, kannst du getrost auf die Zeit zurückschauen. Schau dir Grisu an, der hat noch einen weiten Weg.“ Vanessa lachte und streichelte ihm über die Schulter.
Patrick schloss die Augen und genoss die Berührung. Er sollte dringend nach Hause zu Lisa.
Mit der Bierflasche in der Hand richtete er sich auf und stieß mit Vanessa an. Sie lächelte und strahlte dabei, als gäbe es nichts Schöneres, als in Marcos versiffter Bude zu hocken und mit den Männern ein Feierabendbier zu trinken.
Ihre Brüste spannten in einem zu engen Top. Kleine Pickelchen sprossen über ihr Dekolleté. Patrick nahm sein Handy aus der Hosentasche und schaute sich die letzte Chat-Nachricht von Lisa an.
Kommst du vor der Sauna noch nach Hause? Soll ich dir was zu Essen mitbringen?
Ich hab noch zu tun. Sorry.
Wenn ein Auto und der Traumjob so viel wichtiger waren, dann eben nicht. Er schaltete das Handy aus.
„Nicht, dass mein Fortbildungsleiter noch auf die Idee kommt, mich an einem Freitagabend anzurufen.“ Patrick nahm so viele Bier in eine Hand, wie er tragen konnte, dann schlenderte er zurück ins Wohnzimmer.
„Hey, was hab ich verpasst?“
Marco exte sein Bier. Patrick reichte ihm ein neues über die Köpfe der anderen hinweg.
„Den Polizisten. Er hat den Polizisten abgefackelt!“
Die Hüfte unter seiner Hand bewegte sich. Ohne die Augen zu öffnen, hielt er sie fest. Seine Finger glitten entlang des schmalen Oberkörpers. Er spürte die zarten Brüste, rutschte näher an den Körper heran. Seine Oberschenkel berührten den Po. Die Haare dufteten nach Kokos. Er presste seine Lippen an den Hals.
„Du stinkst nach Alkohol.“
Der schmale Körper drückte sich von ihm weg und nahm die Bettdecke mit sich. Müde streckte er einen Arm aus, doch die Bettdecke kam nicht zu ihm zurück. Er hob den Kopf, sah, dass die Tür zufiel. Es drehte ihn. Die Decke, die am Boden lag, blieb in unerreichbarer Ferne. Er griff nach dem zweiten Kopfkissen, legte es stattdessen auf seine nackten Beine.