Hast du dich schonmal einsam gefühlt? Mit Sicherheit und ich hoffe, dass dieser Zustand sich schnell wieder geändert hat. Oft gerät man in einen Teufelskreislauf. Man fühlt sich einsam und blockt die Hilfe von außen ab, man sagt zum Beispiel Verabredungen ab.
Bei älteren Menschen finde ich, ist das etwas anders, da sie sich oft selbst nicht mehr aktiv ins Geschehen einbinden können. Es wird geschätzt, dass über 8 Millionen Menschen, die über 60 Jahre alt sind, von Einsamkeit betroffen sind (silbernetz.org 2020). Das ist ein Zehntel unserer Bevölkerung!
Aber zum Glück kann man dagegen etwas tun, wenn man sich des Problems bewusst ist.
Birgit ist Altenpflegerin mit ganzem Herzen und setzt sich auch nach der Arbeitszeit für ihre Patienten ein. In diesem Artikel erzählt sie, wie sie ihre liebgewonnene Patientin aus dem Sog der Einsamkeit gerissen hat, wenn auch nur für kurze Zeit.
Autorin: Sarah Stano | Passionierte: Birgit

Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich gerne gesunde 75 werden. Bis dahin möchte ich aber jeden Berg besteigen und um den Ammersee radeln. Die meisten meiner Patienten haben diese Grenze überschritten, sind allein oder liegen den ganzen Tag im Bett und haben niemanden, den sie anrufen können. Darauf könnte ich verzichten.
Frau M. ist eine davon. Ihre Kinder sind in der Welt zerstreut und sie haben selten Kontakt. Ihre beste Freundin, mit der sie sonst stundenlang am Telefon hing, ist letztens verstorben. Drei Mal am Tag kommt unser Pflegedienst. Ich helfe ihr bei allem, was jeder von uns in der Früh machen muss. Ich helfe ihr aus dem Bett, wasche sie und ziehe sie an. Ich richte ihr Frühstück her und stelle eine Waschmaschine an. Wenn Frau M. mittags Pfannenkuchen backen möchte, muss ich ihr Mehl und Zucker bereitstellen, da sie im Rollstuhl sitz und selbst nicht mehr an die hohen Fächer kommt. Die ganze Zeit muss ich aufmerksam zuhören, um ihr solche alltäglichen Dinge zu ermöglichen. Wenn sie nach meinem 40-minütigen Besuch lächelnd vor mir sitzt, ist das mein Lohn. Zum Abschied umarme ich sie liebevoll. Es ist eine Kunst der Frau das Gefühl von Ruhe und Geborgenheit zu geben, trotz der Hektik.
Bis ich für die Abendversorgung wieder vorbei komme, wird sie mit niemandem sprechen, geschweige denn eine Hand schütteln oder umarmt werden. Weihnachten ist da keine Ausnahme.
Kannst du dir vorstellen, Weihnachten allein zu sein, weil es niemanden mehr gibt, mit dem du die Festtage verbringen kannst?

Während andere Familien schon längst vor dem Tannenbaum saßen am Heiligabend, hatte ich Dienst und wollte endlich nach Hause. Gleichzeitig tat mir Frau M. leid, als ich sie wie jeden Abend ins Bett brachte und ihr die Fernbedienung für den Fernseher an die Bettkante legte.
Als ich nach Hause fuhr, kam mir eine Idee.
Noch bevor ich meine Familie begrüßte, kramte ich aus dem Keller die alte Blockflöte. Zum Glück sind meine Töchter spontan, denn als ich meiner Ältesten die Flöte überreichte, übte sie nach über zehn Jahren wieder auf ihrem alten Instrument. Anfangs quietschte es etwas, doch man hörte die Melodie heraus.
Eine halbe Stunde später standen wir zu dritt vor Frau M´s Haustür. „Frohe Weihnachten!“
Meine älteste Tochter spielte Stille Nacht, heilige Nacht auf der Blockflöte, meine Jüngste und ich sangen dazu.
Frau Meyer sank immer tiefer in ihre Kissen, gerührt von unserer improvisierten Aktion. Bei Oh Tannenbaum bestand sie darauf auch die zweite Strophe zu singen, kannte jeden Vers. Nach fünf Liedern klatschte sie eifrig und unsere Stimmbänder hatten genug.
Es war nur eine halbe Stunde und manch einer hätte sich vielleicht gefreut, als wir aufhörten zu singen, doch Frau M. bedankte sich mehrmals.
Unser Heiligabend war nicht gelaufen wie geplant, doch wir hatten einen Menschen glücklich gemacht und damit unsere persönliche Weihnachtsgeschichte erlebt.
Sarah: Da die Alterseinsamkeit ein großes Problem ist, hat das Bundesseniorenministerium den Wettbewerb „Einsam? Zweisam? Gemeinsam!“ ins Leben gerufen. Letztes Jahr wurden hier einige coole Ideen gewürdigt, mit denen ältere Menschen vor Einsamkeit geschützt werden sollen.
Auch Birgits Geschichte zeigt, wie einfach man etwas dagegen tun kann.
Deshalb, worauf wartest du? – Ruf deine Großeltern an