Bist du schon mal über eine Almwiese spaziert, wo eine Kuh gemütlich mampfend im Gras liegt? Wenn du Blickkontakt mit ihr hältst, überschatten ihre langen Wimpern die Augen und plötzlich wirkt sie wie eine schüchterne Lady. Eine Kuh tut keiner Fliege was zu leide, sie wischt sie höchstens mit dem Schwanz beiseite, wenn sie zu aufmüpfig werden. Wenn du dir dieses sanftmütige Tier vorstellst, kämst du auf die Idee ihr ein Seil durch die Nasenwand zu stechen und ihren Kopf ganz nah am Boden anzubinden, dass sie sich kaum bewegen kann?
Nun, das ist gängige Praxis in Indien.
Jetzt sagst du: „Aber Kühe sind heilig in Indien!“
Das ist richtig. Deshalb werden sie auch nicht gegessen. Trotzdem sind es Nutztiere und viele Familien erwirtschaften ihr Einkommen mit der Milch. Auch das Toranam-Projekt hat sich Kühe zugelegt. Wie Franzi erzählt gerieten sie jedoch schnell in einen kulturellen Zwiespalt.
Autorin: Sarah Stano | Die Passionierte: Franziska Weißörtel

Kühe sind in Indien heilig, aber auch Nutztiere. Tierschützer geraten schnell in Rage, wenn sie sehen, wie die Tiere gehalten werden. Aber wo ist Schluss mit Tierschutz, wo beginnt Kultur, was darf man versuchen zu ändern?
Unsere Kuhkälber kauften wir einem Bauern aus dem Dorf ab. Wir nannten sie Murphy und Burphy und schon waren ihre Namen in unseren Herzen eingraviert. Und dieses Tierschützer-Herz klopfte ganz hektisch, als es das Seil sah, das wie ein Geschirr um den Kopf des Kalbes verknotet war und durch die Nasenwand verlief. Durch die Aufregung hatten die Kälber es selbst noch fester zu gezurrt und ihre Nüstern eingerissen. Dieses Konstrukt war dazu da, die Tiere gefügig zu machen. Hättest du ihnen das Seil abgenommen, damit sie unbeschwert über die Wiese galoppieren können oder hättest du dich der indischen Kultur angepasst?

Auf unserer Farm jedenfalls pochten viele Tierschützer-Herzen.
Die Köchin half uns das Geschirr zu lockern. Da ein Zaun teuer ist, werden die Kühe meist an einen Pflock angebunden. Oft so dicht am Boden, dass ihre Nüstern schon die Grashalme streifen. Das wollten wir definitiv nicht und wir einigten uns, den Tieren mehr Bewegungsfreiheit zu gönnen.
Deshalb führten wir die Kälber Gassi.
Ja genau, wie einen Hund. Gemächlich spazierten wir mit Murphy und Burphy über unsere Farm, zeigten ihnen die Bäume und sie durften frisches Gras knabbern. Nur gestreichelt werden wollten sie nicht.
Zwischendurch büchsten sie uns auch aus. Ganz unbeholfen sprangen sie über den Weg, als hätten sie ihre vier Beine noch nie so schnell bewegt. Haben sie vermutlich auch nie.
Keiner von uns konnte sie einfangen. Die Köchin hingegen schnitt seelenruhig etwas frisches Gras ab und lockte ein Kalb damit heran. Während es ihr aus der Hand fraß, hob sie die Leine auf und führte es zurück an seinen Platz. Das zweite Kalb folgte ihnen friedlich.
Sarah: Ich stecke hier ziemlich im Zwiespalt. Auf der einen Seite wünsche ich diesen Kühen ein friedliches Dasein wie auf einer Almwiese. Aber darf unser Tierschützer-Herz die Oberhand übernehmen und ein verpflichtendes Gassi-Programm für alle indischen Viehbauern einführen? Oder die Praxis mit dem Seil durch die Nase verbieten?
Was denkst Du darüber? Schreib mir deine Gedanken zu dem Thema gerne in die Kommentare. Gemeinsam finden wir vielleicht einen Mittelweg, um allem gerecht(er) zu werden.